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Moral oder weg damit – das ist die Frage

Donnerstag, 11. November 2010, geschrieben von Mimi Müller

Heute Morgen? Bin ich einigermaßen ratlos. Vielleicht hat es etwas zu tun damit, daß mit dem gestrigen Geschehen eine Grenze überschritten worden ist. Eine Grenze, die nicht nur die meine ist, aber eben auch: meine.

Ich habe mich als Kind schon gewundert, über den Umgang der “Erwachsenen” mit dem, was sie mir als “Gebote”, “Werte” “Tugenden” und “Moral” nahezubringen suchten.  Zwar legten sie in ihren Ansprachen an mich ausserordentlichen Wert auf all dies, aber zwischen dem, was sie mir beibringen wollten und dem, was sie selbst taten, da lagen zuweilen Welten. Die “Erwachsenen”, das stellte ich schnell fest, legten gerade in den Dingen, die sie mir als wünschenswert priesen, selbst eine bemerkenswerte Schludrigkeit an den Tag.  Ich erinnere mich noch genau an den Moment,in  dem ich zum ersten Mal feststellte, daß auch meine Mutter davon nicht frei war. Dieselbe Frau, die mir von dem Kind in der Krippe erzählt hatte, von einem Menschen, der als unbedingte Handlungsempfehlung “Liebe” gab, und empfahl,  statt zurückzuschlagen, auch die andere Wange noch hinzuhalten -  dieselbe Frau, meine Mutter, fand für mich keinen Trost, wenn ich in Auseinandersetzungen, im Sandkasten, im Kindergarten, auf dem Schulhof,  genau dies tat und die andere Wange auch noch hinhielt.  “Komm nicht nach Hause und heul” sagte sie dann “Wehr Dich!” Da war kein Lob dafür, dass ich mich hatte verprügeln lassen, und auch kein Trost, weil die eine Wange nun so weh tat,  wie die Andere. Keine Rede mehr von der Seligkeit der Sanftmütigen. Ich wurde abgewiesen, trostlos fortgeschickt, damit ich “endlich” !!! lerne, mich zu wehren… Im Laufe der Jahre, und ich wurde selber erwachsen darüber, habe ich feststellen müssen, dass für die meisten Menschen, zwischen dem, was sie für wünschenswert erachten, für richtig erkannt haben und gut und dem, was sie am Ende tun, doch ein Unterschied liegt.  Denken, Fühlen und Handeln sind nicht deckungsgleich. Und die Stelle, an der das, was eine Einheit sein sollte, auseinanderfällt, ist die immer Gleiche:

An all die Vorgaben, die er für wünschenswert hält, an seine “Moral” fühlt der Mensch sich in den allermeisten Fällen nur gebunden, wenn sein Gegenüber sich ebenfalls daran hält. Und in jeder einzelnen Situation, in der es das nicht tut, stehen wir vor der Frage,  ob wir uns, angesichts dieser Tatsache, dran halten – oder aber uns unserer eigenenen Moral gleichfalls entbunden sehen, weil der andere sich entbunden hat. Ein schlimmes Dilemma. Was uns in einer solchen Situation ja droht, wenn wir uns an den Wertekanon noch halten, ist ja in den allermeisten Fällen nichts anderes als die berühmte Arschkarte.

Ich denke, dies ist der tiefste aller menschlichen Konflikte, den wir da mit uns austragen müssen, er zieht sich durch alle Zeiten und alle Menschen. Vielleicht ist das die Ursuppe, aus der jeder nur selbst steigen kann, die letzte Frage, die jeder für sich selbst beantworten muß. Der Punkt, an dem sich unsere Ganz-Mensch-Werdung erst entscheidet. Bis dahin: Ein Drahtseilakt, den wir täglich neu vollbringen müssen…

Die Fragen, die sich mir als Kind schon stellten, bewegen mich heute noch, auch wenn ich sie damals schon grundlegend für mich beantwortet habe.  Die immergleiche Frage. Und meine immergleiche Antwort darauf.  “Meine” Moral hängt nicht vom Tun der Anderen ab.

Herr Sauerland kann mich nie dazu bringen, verantwortungslos zu sein, nur weil er es ist.  Er kann mich nicht dazu bringen meinen Anstand zu vergessen, nur weil er keinen hat. Und er kann mich auch nicht dazu bringen, ihn öffentlich zu demütigen, weil er andere öffentlich demütigt.

Seinen Unmut, auch laut,  zu demonstrieren, sich zu verweigern, wenn die Rückkehr zur Tagesordnung gefordert wird, das ist eine Sache. In solche Handlungen überzugehen, eine andere, für mich inakzeptable. Da ist der eine für mich um keinen Deut besser als der Andere.

Ich empfinde nicht die geringste Genuugtung und auch  keine klammheimliche Freude über das Geschehen. Auch wenn ich nachvollziehen kann, warum in dem ein oder anderen diese Gefühle aufsteigen, so sind sie mir selbst völlig fremd.

Abgesehen davon, daß es für unser Gemeinwesen überlebenswichtig ist, dass wir uns dessen annehmen, was in dieser Stadt passiert ist und noch passiert, was man, neben der Loveparade, noch alles für plante und plant, und welcher Mittel man sich dabei bedient.

Man kann Herrn Sauerland überhaupt nicht tiefer treffen, als sich dieser “Dinge”, seiner Politik, ernsthaft prüfend anzunehmen. Über “seine” moralische Frage, seine Verantwortung für die Loveparade, lässt er mit sich nicht reden, daran ändert auch kein KinderKetchup etwas. Also muss man sich um so mehr dessen annehmen, was er als seine ureigenste Domäne betrachtet:  dieser Stadt, die Beute politischen Habgier  und Willkür geworden ist.   Da, genau auf diesem Boden, da muß man jenen begegnen, die sich weigern, Verantwortung zu tragen. Und genau da sind auch die entscheidende Fehler gemacht worden und zu finden, die dann auch zu dem führen werden, was hier als Einziges von Herrn Sauerland anerkannt zu werden scheint:  zu juristisch verwertbaren Ergebnissen.