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Alterdiskriminierung

Dienstag, 5. Oktober 2010, geschrieben von Mimi Müller

Unter dem Titel “Bürger als Bremser – Deutschland altert und entdeckt die Protestgesellschaft ” hat Christoph Rind heute im Hamburger Abendblatt den Vogel bei der Findung der dummdusseligsten Diskriminierungen protestierender Bürger abgeschossen.    Zitat:

” (…) Wenn sich die Welt im Großen immer schneller dreht, wollen viele wenigstens in der Nachbarschaft bewahren, was ihnen vertraut ist, zum Beispiel uralte Bäume im Stuttgarter Stadtpark.

Diese Gefühlslage trifft vor allem die Generation der Großeltern, besonders aus dem Bürgertum. So wird das Bild revoltierender Rentner keine Ausnahme bleiben. Das bringt die auf den Kopf gestellte Bevölkerungspyramide mit sich. Leider verspricht es nicht immer Gutes, wenn die Älteren langfristige Zukunftsprojekte blockieren, deren Nutzen sie selbst vermutlich micht mehr erleben (…)

Das ist wirklich der Gipfel.  Altersdiskriminierung in Reinform, obendrein noch geeignet, Jung gegen Alt aufzuwiegeln. Als hätte es kulturgeschichtlich den Begriff der Altersweisheit nie gegeben. Eine unglaubliche Frechheit! die Sie sich da erlauben, Herr Rind.  Für wie blöde halten Sie uns eigentlich? Meine Großmutter hätte  “Sie Rotzlöffel” hinzugefügt.

Und weiter schreibt er:   “Für unsere Demokratie, die den gewählten Volksvertretern Macht auf Zeit überträgt, bedeutet das: Regierungen und Parlamente müssen in Zukunft noch viel gründlicher erklären, wie und warum sie unsere Welt verändern möchten.”

Diesen Schwachsinn, Herr Rind,  habe ich gestern schon bei Beckmann hören müssen. Den hör ich seit 2einhalb Jahrzehnten! Ich bin es jetzt wirklich leid! Beharrlich wird davon geredet, daß man den Bürgern etwas noch nicht richtig erklärt habe, etwas zukünftig besser erklären müsse. Seit Jahren immer der gleiche, in lapidarerer Eintönigkeit wiederholte, hahnebüchende gequirlte Scheiss. Pardon, aber das lässt sich nicht mehr höflicher formulieren, denn sonst hör`n Sie`s wieder nicht.  Die immer gleiche Leier:

Wenn wir dem kleinen doofen Bürger,  diesen Lumpenproleten, Hatz4lern und Wohlstandsrentnern, die allesamt wie die Maden im Speck leben, uns nur richtig erklären: dann wird das alles viel viel besser klappen.  Wenn wir den Bürgern nur unsere Ausbeutung ihrer  Leibes- Körper- Seelen und Finanzkräfte besser vermitteln könnten, mit noch schöneren Worten, noch längeren Sätzen – dann gingen die Schafe, ein fröhlich Lied auf den Lippen, auch allein zur Schlachtbank.  Aber dieses Volk,  tja, das  ist ja wirklich für alles zu blöd. Dümmer noch als die Schafe…

Ist Ihnen eigentlich jemals in den Sinn gekommen, dass die Bürger sie verstanden haben könnten? Schon lange sher gut verstanden haben? Und dass sie genau das nicht wollen, was Sie da so nachhaltig und ungebremst, an ihnen vorbei und über ihre Köpfe hinweg treiben? Und weiter treiben wollen? Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, daß Sie hier keine kleinen Kinder mehr vor sich haben,  sondern erwachsene Menschen, mündige Staatsbürger, die feststellen müssen, dass die von Ihnen gewählten Vertreter demokratisch besehen noch in den Kinderschuhen stecken und da auch nicht rauswollen, während die Söhne und Töchter der Demokratie längst erwachsen geworden sind.  Denen klar geworden ist, daß sie fortwährend parlamentarisch-demokratisch, versteht sich, über den Tisch gezogen und zur Kasse gebeten werden? Die man auf alle erdenklichen Arten, mit allem was die Findigkeit im Recht herzugeben vermag, von nennenswerter Teilhabe an der Gestaltung des Lebens und der Lebensräume ausschließt – und die das sehr wohl begriffen haben. Wir stehen am Ende eines langen Prozesses, in dem wir auf alle erdenklichen Arten versucht haben, uns Gehör, aber auch Einfluss zu verschaffen. Wir haben alles versucht:  Parteien, Vereine, Bürgerinitiativen, Wählergemeinschaften, Bürgerentscheide, Volksbegehren  – um am Ende zu erleben, mit welchen Tricks und juristischen Schlichen man immer und immer wieder den Bürgerwillen zu umgehen suchte – und umging.  Wir wurden in Unkenntniss belassen, getäuscht,  belogen, ausgetrickst. Parlamentarisch-demokratisch, versteht sich.

Jetzt stehen wir auf der Strasse. Wir sind nicht plötzlich vom Himmel gefallen -  Sie waren es selbst, die uns dorthin bewegt haben. Sie haben uns allein diesen Platz noch gelassen, nachdem sie uns alle anderen streitig gemacht haben.  Nun stehen wir da. Und protestieren. Und selbst dieses Recht will man uns nicht zugestehen und unternimmt “propagandistisch” alles,  ihn -  und damit auch uns – vorbeugend zu kriminalisieren.

Nein, Herr Rind. Wir sind weder doof noch tüddelig. Wir sind auch keine sentimentalen oder senilen Trottel, keine Altersterroristen oder zu was auch immer man sich sonst noch herablassen wird, uns diffamierend zu unterstellen. Wir sind genau das, was hier anscheinend gefürchtet – und neuerdings auch mit unverhältnismäßiger Staatsgewalt bekämpft wird:

Wir sind “die Mitte der Bevölkerung”. Quer durch alle Altersgruppen, alle Bildungs-, alle Bevölkerungsschichten.  Wir sind “das Volk”. Der Souverän dieses Staates. Einig, in West und Ost, in der Kritik dessen, was den Begriff der Demokratie unserer politischen Verteter und deren politisches Gebaren angeht. Wir haben das zwar bisher nie so einig und deutlich zum Ausdruck gebracht, ein Volk mit Geschichte eben, im Schweigen geübt, aber wir haben das schon lange und auf vielfältige andere Art geäußert.  Es wurde nicht zur Kenntnis genommen, stattdessen mussten wir ein ums andere Mal, ein um die andre Wahl,  ihre ignoranten Erklärungsversuche über uns ergehen lassen.

Ihre Respektlosigkeit, Herr Rind, ist unverschämt. Ich hoffe, das Leben wird Sie im Alter an die Unbedachtheiten ihrer Jugend erinnern…