Zurüruck zum Inhalt

Für das Erinnern..

Montag, 20. September 2010, geschrieben von Mimi Müller

Ich habe ein interessantes Gespräch geführt, das ich Ihnen nicht vorenthalten will. Auslöser war eine kurze Meldung über „Stuttgart21“, wo irgendjemand aus irgendeiner Partei gesagt hatte, man wolle nicht anders, selbstverständlich würde gebaut, daß sei schon lange beschlossen. Einwände habe es nicht gegeben, man selbst seie gewählt und die Bürger hätten den Neubau nun zu akzeptieren. Das seie Demokratie, und keinesfalls würde man sich dem „Druck der Strasse“ beugen.

Ähnliches hörte man auch in Duisburg, auch von den Ratsfrauen und Herren, die zwar für einen Entscheid der Bürger über den Verbleib Sauerlands im Amte waren – aber sich, mangels einer zwei/drittel Mehrheit nicht haben durchsetzen können. Ja, hieß es von allen Fraktionen, das sei eine demokratische Entscheidung, die man in jedem Falle akzeptieren müsse, das seie in den Gesetzen so vorgesehen, ein Mangel, sicher, ja, bedauerlich, da muss man mal sehen, ob man da was ändern könne, für die Zukunft, aber jetzt? Keine Ahnung, wie es weitergehen solle, man seie schlichtweg „ratslos“. Das war zwar ein freudscher Versprecher eines SPD-Ratsherrn  – beschrieb aber die Lage sehr zutreffend. De facto sind die Duisburger ratslos.

Nun sagte ich meinem Gesprächspartner, dass ich das alles sehr seltsam fände. In Stuttgart seie das ja nicht kleine „radikale Minderheit“ die da auf die Strasse ginge, auch die Hunderttausende am Wochenende, gegen Atomkraftwerke,  die wollten doch keine Revolution, sondern die verlangten lediglich, dass man darüber einmal abstimmen lassen möge, um festzustellen, ob sich für dieses Projekt denn unter den aktuellen Bedingungen noch eine demokratische Mehrheit finden ließe – oder nicht. Ich, so sagte ich, fände das doch sehr demokratisch und das das doch irgendwie nicht sein könne, dass man dem Volk eine lange Nase zeigt, so!– ihr habt uns gewählt, das ist die Demokratie! Die müsst ihr jetzt schlucken, all unsere Kröten und was immer wir uns ansonsten in den nächsten 4 Jahren einfallen lassen: das auch. Das ist nämlich Demokratie! Ätsch! Wir repräsentieren euch – und basta.

Nö, hab ich gesagt, für mich sieht das doch eher so aus, als wäre das die Ausrede – mit Demokratie habe das nach meinem Verständniss nichts zu tun,  wenn man sich offen gegen die Bevölkerung stelle. Ich empfände das doch eher als Demokratur. An einem einzigen Tag habe ich eine Wahl – und die restlichen 3 Jahre und 364 Tage – da habe ich meinen Verstand und jedwedes Wollen aufzugeben? Und wenn ich was wollen will, dann habe ich in eine Partei einzutreten und wenn ich dann immernoch was anderes will als deren Vorsitzenden, dann flieg ich raus oder werde zum Schriftführer im Ortsverein verdammt? Wenn es das ist, sagte ich, dann brauchen wir ein neues Wort dafür, denn „Demokratie“ das stimmt ja dann nicht mehr– dann bestehe ich darauf, daß wir es Demokratur nennen…

Nein, sagte mein Gesprächspartner, nein, – im Prinzip hätte ich ja Recht, dass sei wirklich ein bisschen… verkommen, also die demokratische Kultur sei heruntergekommen und das Demokratieverständnis ließe zu wünschen übrig, aber…

Wir hätten ja das Verfassungsgericht. Und das sei ja ein Garant dafür, dass hier nicht jeder machen könne, was er wolle…

Ja, erwiderte ich. Das hätten wir wohl. Aber wäre es denn nicht so, daß ich, als Bürger, eine solche Klage schon wegen Geldmangels gar nicht erst anstrengen könne? Dass ich – selbst wenn ich in der Lage wäre, einen solchen Prozess selber zu führen, ich dennoch einen Anwalt bräuchte, den ich nicht bezahlen könne…

Ja, aber, sagte mein Gesprächspartner, dennoch gäbe es ja die Klagen, die für alle wichtig wären, da finden sich finanziell starke Kläger, hätten sich ja immer gefunden und die hätten auch oft genug gewonnen. Überleg mal, sagte mein Gesprächspartner ,wieviele Gesetze das Verfassungsgericht schon kassiert hat…

Ja, sagte ich, stimmt. Das ist schon auffällig. Aber war es denn nicht so, daß die Verfahrenszeiten unglaublich lang gewesen waren? Und wäre es nicht in der Vergangenheit auch immer öfter so gewesen, daß in der Zwischenzeit Fakten geschaffen worden waren, die unumkehrbar waren? Und war es nicht auch immer öfter so, daß das Verfassungsgericht den Klägern zwar Recht gegeben hatte – aber: mit Auswirkung nur für die Zukunft ? Manchmal auch für die ferne Zukunft. Und dass rückwirkend Urteile des Verfassungsgerichtes gar nicht angewendet werden mussten? Dass beispielsweise der „Kohlepfennig“ nicht zurückgezahlt werden musste, weil die Staatskasse das nicht verkraftet hätte? Und dass wir solche „misslichen Umstände“ von da an immer öfter hinnehmen mussten?

Das wäre doch praktisch, hab ich gesagt, einmal gewählt, könne ich ja dann – aus Schlamperei oder mit Vorsatz – Gesetze erlassen, die erstmal gelten. Das dauert ja, bis das Verfassungsgericht das „richtig“ stellt. Für die Zukunft. Und die Zeit arbeitete für mich.  Immerhin hätte ich ja dann in der Zwischenzeit was immer ich wolle. Ich kann doch Kasse machen, ich kann Daten sammeln. Erstmal könne ich doch machen, was ich wolle, ob zu Recht oder nicht: mir doch egal. Das Geld, die Daten – was auch immer: das hab ich erstmal. Und irgendwann einmal, da kommt dann der größte aller Richter, hebt den Finger und sagt: Du, Du, Du – das darfst Du aber nicht, das lässt du in Zukunft mal sein…

Nö, hab ich gesagt, da kann uns das Verfassungsgericht nicht ausreichend genug vor schützen, wenn einer die Demokratie aushöhlen, Gesetze „gestalten“ will, dann kann der das erstmal, er ist ja gewählt. Repräsentativ. Auch wenn die Gewählten den Bürgerwillen gar nicht mehr repräsentieren – wie Hunderttausende auf den Strassen ihnen bedeuten. Der Bürgerwille ist für 3 Jahre und 364 Tage in einer Art Isolationshaft. Oder Erzwingungshaft?

Unser Gespräch war dann erstmal beendet. Ich weiß nicht einmal, warum wir es abgebrochen haben. Vielleicht, weil wir beide erstmal genug zu überdenken hatten…